Verschwörungsklassiker: Die erstaunliche Karriere der Illuminaten (2024)

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Den Vatikan in die Luft sprengen. Vier Kardinäle, aussichtsreiche Anwärter auf das Papstamt, auf ausgesucht scheußliche Art ums Leben bringen. Und dann ihre Leichen an symbolträchtigen Orten in Rom zur Schau stellen - wem wäre so etwas zuzutrauen? In der Fantasie des amerikanischen Thriller-Autors Dan Brown lag die Antwort auf der Hand: "Illuminati", so lautete der 2003 erschienene deutsche Titel seines Romans über ein mörderisches Komplott.

Ähnlich finstere Machenschaften schilderten bereits die "Illuminatus!"-Romane, die ab 1975 erschienen. Die US-Autoren Robert Shea und Robert Anton Wilson betreuten die "Playboy"-Leserbriefseite und mixten, was an kruden Zuschriften auf ihren Schreibtischen landete, zu einem satirischen Potpourri. In ihrer Trilogie waren die Illuminaten irgendwie in die Morde an John F. und Robert Kennedy sowie Martin Luther King verwickelt, wollten per Atomkrieg oder Pandemie das Weltende herbeiführen und Adolf Hitler zu ewigem Leben verhelfen.

Dass die Idee eines bayerischen Professors aus dem 18. Jahrhundert die literarische Vorstellungskraft und ebenso die Ängste von Verschwörungsgläubigen aller Art bis heute dermaßen befeuert - der Urheber konnte es nicht ahnen. Vielleicht hätte es ihn aber mit stiller Genugtuung erfüllt. Denn Adam Weishaupt, 1830 in völliger Vergessenheit verstorben, hatte durchaus Großes im Sinn.

"Aufgabe des Ordens war", schrieb er nach dem Illuminaten-Verbot, "selbstdenkende Menschen aus allen Weltteilen, aus allen Ständen und Religionen unbeschadet ihrer Denkfreiheit (...) in einem einzigen Band zu vereinen (...). Eine solche Gesellschaft ist das Meisterstück der menschlichen Vernunft. In ihr und durch sie hat die Regierungskunst ihre höchste Vollkommenheit erreicht."

Manipulieren, tarnen, täuschen

In Weishaupts Ideenkosmos sollte eine aufgeklärte Elite die Menschheit zu deren eigenem Besten in eine herrschaftsfreie Zukunft führen. "Letztlich schwebt ihm ein Endzustand der Gesellschaft vor", sagt Olaf Simons. Der Anglist und Germanist ist wissenschaftlicher Mitarbeiter einer den Illuminaten gewidmeten Forschungsstelle in Gotha, wo Weishaupt ein halbes Leben im Exil verbrachte: "Und im Endzustand weiß jeder, wofür er da ist. Da braucht man keine Religion, keinen Staat mehr."

Mitwirken sollte die Menschheit an der Herbeiführung dieses idealen Zustands indes nicht. Weishaupt war kein Freund von Transparenz, geschweige denn Demokratie. Das Wissen darum, wie es mit der Welt weitergehen sollte, war nach seiner Überzeugung in einem diskreten Zirkel aufgeklärter Geister am besten aufgehoben, letztlich bei ihm selbst. Die Existenz seiner Organisation sollte der Außenwelt verborgen bleiben. Im Inneren herrschte eine rigide Hierarchie; jedes Mitglied war seinem jeweils Oberen rechenschaftspflichtig und durfte nicht mehr an Kenntnissen besitzen, als seinem Rang entsprach; Bespitzelung und Denunziation wurden erwartet.

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Illuminaten - die Legende von den ewigen Strippenziehern

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ddp images/ ddp images/ Sony Pictures

"Der Orden", notierte Weishaupt, "hat ein doppeltes Geheimnis zu beobachten. Ein äußeres, wodurch den Profanen nicht nur unser Zweck, Operationen und Personale, sondern auch sogar unser Dasein unbekannt bleiben soll. (…) Ein inneres, wodurch einem jeden Mitgliede gerade soviel von Ordenssachen und Personen eröffnet wird, als der Grad seiner Zuverlässigkeit, die Ausdehnung seines Wirkungskreises, die Erhaltung seines Zutrauens und Eifers fordert."

Was wir heute unter Verschwörungsdenken verstehen, war Weishaupt mithin nicht fremd. Er war überzeugt: Für die Zwecke der Aufklärung sei es statthaft, Menschen zu manipulieren und zu täuschen. Die erträumte Beseitigung aller Herrschaft war einer fernen Zukunft vorbehalten. Einstweilen agierte Weishaupt konspirativ, autoritär, machtbewusst: "Ich würde meine Leute selbst erst bilden und mir vorbereiten nicht wie sie sind, sondern wie ich sie zu meinem Zwecke nötig hätte."

Ringen mit den Jesuiten

Seine Ausbildung auf dem Jesuitenkolleg vermittelte Adam Weishaupt, 1748 in Ingolstadt geboren, eine ebenso heftige Abneigung gegen die Inhalte jesuitischer Lehren wie tiefe Bewunderung für die effiziente Ordensorganisation. Mit 15 nahm er in Ingolstadt ein Philosophie-, Geschichts- und Jurastudium auf und erhielt mit 26 einen Lehrstuhl für Philosophie und Kirchenrecht. Als energischer Verfechter eines aufgeklärten Fortschrittsdenkens hatte er freilich keinen leichten Stand an der von streng katholischem Geist durchwehten Universität.

Weishaupt wollte seine begabtesten Studenten vor dem Einfluss aufklärungsfeindlicher Kräfte bewahren und gründete im Mai 1776 mit zwei Vertrauten einen "Geheimen Weisheitsbund", eine "Schule der Menschheit". Sie nannten sich zunächst "Perfektibilisten", später "Illuminaten", die "Erleuchteten"; sie strebten nach Modernisierung und stellten die althergebrachte Ordnung despotischer Monarchen und Fürsten infrage. Ihre Ambitionen reichten bald über den Wirkungskreis eines studentischen Zirkels hinaus. Vom "ersten bekannten politischen Geheimbund der Neuzeit" sprach der Historiker Hans-Ulrich Wehler.

Nach Weishaupts Ansicht bedurfte es keines gewaltsamen Umsturzes, um den herrschaftsfreien Idealzustand zu erreichen. Er setzte auf stille Unterwanderung - einen Marsch durch die Institutionen. Illuminaten sollten Schlüsselpositionen in Staat und Gesellschaft besetzen. Tatsächlich rekrutierte der Geheimbund mit Erfolg in den höheren Etagen von Verwaltung, Justiz und Hochschulen. In den besten Zeiten zählte er rund 1200 Mitglieder.

Im Untergrund mussten sie wirken, um, wie ihr Gründer meinte, den Nachstellungen ihrer Gegner zu entgehen - es gebe "gute und gemeinnützige Zwecke, welche durch den Weg der Verborgenheit am sichersten erreicht werden". In einer Geheimgesellschaft aufgeklärter Geister, sagt der Gothaer Forscher Simons, lasse sich zudem manche Zukunftsvision vorwegnehmen: Hier konnten jene, die schon in der Gegenwart "ohne einen Regenten auskommen, sich selbst regulieren".

Als Geheimbund bald am Ende

Allerdings kollidierte in der illuminatischen Praxis das Ideal der Selbstregulierung mit Weishaupts Kontrollbesessenheit. "Ein Orden, der auf diese Art die Menschen missbraucht und tyrannisiert (…), der würde die armen Menschen in ein härteres Joch bringen als die Jesuiten", begründete der Schriftsteller Adolph Freiherr Knigge 1784 seinen Austritt.

Nachdem enttäuschte Ehemalige den Orden bei bayerischen Behörden angeschwärzt hatten, verbot die Regierung im Juni 1784 zunächst alle Geheimgesellschaften, im März 1785 ein weiteres Mal namentlich die Illuminaten. Weishaupt verlor seine Professur in Ingolstadt. Es kam zu Festnahmen und Hausdurchsuchungen. Die gefundenen Dokumente veröffentlichte Bayerns Regierung 1787, als Geheimbund war der Orden erledigt.

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Die Affäre erregte europaweit Aufsehen und löste scharfe Kontroversen aus: Liberal Denkende sahen eine jesuitische Verschwörung am Werk, während konservative Publizisten bereits an der schwarzen Illuminaten-Legende strickten. So warf das Mainzer "Religionsjournal" Weishaupt und seinen Anhängern vor, "sich mit Ausländern zu vereinen", um das "Vaterland in ihre Gewalt zu bringen". Bayerns Behörden gebühre das Verdienst, "das im Finstern herumkriechende Geheimnis der Bosheit" aufgedeckt und "zum Schrecken der christlichen Welt ans Licht" gezogen zu haben.

Der Disput wäre vielleicht im Sande verlaufen, hätte nicht die Französische Revolution 1789 dem konservativen Europa einen Riesenschrecken eingejagt und das Thema in eine internationale, bis in die USA reichende Dimension katapultiert. Der Skandal um die Illuminaten war noch frisch. Und wie anders als durch das Wirken teuflischer Mächte ließ sich der Sturz der 900-jährigen Monarchie der Kapetinger, Valois und Bourbonen erklären?

"Ein Jakobiner ist nichts anderes als ein praktischer Illuminat", hieß es 1792 in der "Wiener Zeitung", die auch Gerüchte kolportierte, dass Illuminaten im Rheinland die Neigung zum Anschluss ans revolutionäre Frankreich schürten. Ihr Ziel sei, "die Welt zu regieren, indem sie die Fürsten betrügen, und alle Macht an sich zu reißen, indem sie sich ihrer Minister bemächtigen".

Die Illuminaten-Hysterie

Losgelöst von seinem Ursprung verbreitete sich der Mythos in der angelsächsischen Welt. Dort kam in der Debatte um die Französische Revolution "schnell die Frage auf, ob die nicht gesteuert ist", sagt Simons. Von wem gesteuert? Der französische Abbé Augustin Barruel gab die Antwort. Er publizierte 1797/98 eine Geschichte der Jakobiner in vier Bänden und widmete zwei allein den Illuminaten. Das Werk, bald in zehn Sprachen übersetzt, lieferte in den USA den Stoff für eine jäh aufflammende Illuminaten-Hysterie.

Wer hat den Nutzen, wenn bestehende Ordnungen aus den Fugen geraten? Wessen Geheimpläne sind die wahren Ursachen von Kriegen und Katastrophen? Fortan richteten Verschwörungsgläubige ihren argwöhnischen Blick immerzu auf Gruppen wie die Illuminaten, die Freimaurer oder auch das "Weltjudentum", allesamt die üblichen Verdächtigen als vermeintliche Agenten einer "Weltregierung".

SPIEGEL TV

Das verschaffte dem kurzlebigen Geheimbund einen gewaltigen Nachhall bis heute. Ihren popkulturellen Einfluss verdankt die Legende vor allem der "Illuminatus!"-Trilogie. Im Sinn hatten Shea und Wilson eine anspielungsreiche Persiflage auf paranoide Tendenzen in der US-Kultur. Sie legten jedoch das Fundament für ein großes Raunen: Von der Oktoberrevolution bis zum Zweiten Weltkrieg, von Besuchen Außerirdischer bis zu 9/11 - nahezu jedes einschneidende Ereignis der Weltgeschichte wurde den Illuminaten bereits angeklebt. Wer nur genau genug hinsieht, findet überall geheime Codes: die Eule als Illuminaten-Symbol, vor allem die ominöse Zahl 23.

Den festen Platz des Geheimbundes in der Populärkultur belegt nicht nur Dan Browns Roman, 2009 spektakulär mit Tom Hanks verfilmt. Unter dem Namen "Illuminati" ist auch seit 1988 ein Gesellschaftsspiel auf dem deutschen Markt, bei dem es um die Weltherrschaft geht. Und ein Jahr später trieb sein Verfolgungswahn den deutschen Hacker Karl Koch in den Tod: Der junge "Illuminaten!"-Leser nahm zu viele Drogen, stahl und verkaufte Daten, sah überall die unheilschwangere Zahl 23 - bis er starb, mit 23 Jahren am 23. Mai 1989.

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